Cover und Textabbildungen. © Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Die „Deutsche Staatsoper“ präsentiert sich in einem gut gefüllten Text- und Bildband von 288 Seiten mit mehr als einem Kilo Eigengewicht. Er enthält die historischen Stufen ihrer Geschichte in den 275 Jahren von der „Preußischen Hofoper“ in ihrer Entwicklung bis zu ihrer heutigen Bedeutung und ihrem modernen Erscheinungsbild und Selbstverständnis. In diesem attraktiven Format versammeln sich dreizehn Beiträge zwischen einer Einführung von der Leitung der „Deutschen Staatsoper“, Daniel Barenboim als GMD und Jürgen Flimm und Mathias Schulz für die Intendanz und zum Schluss einer Chronik von Detlef Giese, als einem tabellarischen Überblick über die erwähnenswerten Daten der künstlerischen und baulichen Entwicklung der Institution und des Bauwerks „Deutsche Staatsoper“. Jeder dieser Beiträge von bekannten, themennah arbeitenden Autoren wird eingeleitet mit den Namen von klassischen Musen, die in Bezug zum Theater, Oper und dem künstlerischen Umfeld stehen. Die benannten Musen, deren Bedeutung und Aussage für die Oper, werden einleitend von Raoul Schrott beschrieben.
Unter dem Zitat aus dem Portikus des Opernbaues „Apoll“ schreibt Detlef Giese über „Einzüge und Wiedereinzüge“ der Oper Unter den Linden im Laufe ihrer Geschichte. Von der improvisierten Eröffnung durch Friedrich II am 7. Dezember 1742 und den insgesamt acht Neu- und Wiedereinzügen, durch notwendige Bauarbeiten, durch die verschiedensten Unglücke und auch durch nicht selbst verschuldete Umstände verursacht, bis heute.
Unter dem Titel „Klio“ schreibt Philipp Blom „Der Spiegel seiner Majestät“, über die Einwerbung der Künstler für Friedrichs Oper, sein Umgang mit ihnen und über die frühen Aufführungen. Die eingeladene Gäste aus der Residenz und den finanziellen Aufwand für den Betrieb und den Erhalt des Gebäudes und seinem Personal werden ebenfalls thematisiert. Der Beitrag endet zeitlich mit dem Tode Friedrichs und seinen Nachwirkungen.
Im folgenden Beitrag schreibt Susanne Kippenberger „Der Sternentempel der Lindenoper“ unter dem Zeichen der Muse „Urania“ über „Schinkel und die Geschichte des Bühnenbildes der Oper“. Karl Friedrich Schinkel ist uns heute als Architekt und als Bühnengestalter in Erinnerung. Für Schinkel war es höchste Zeit, das Bühnenbild zu entrümpeln. Ab 1814 ergab sich für ihn die Chance seine Vorstellungen zu realisieren und er hatte Erfolg: Noch heute empfindet der Opernbesucher sein Werk als Offenbarung und beispielhaft. Legendär ist seine Arbeit für die „Zauberflöte“.
Im Beitrag „Opernrevolutionen“ unter der Muse „Polyhymnia“ schreibt Thomas Macho über „Chöre, Bürger und Tyrannen“. Opernaufführungen erscheinen oft als Verursacher oder Begleiter von Revolutionen. Ein besonderes Element sind dabei die Chöre der Oper, die es beispielsweise durch Giuseppe Verdi und seinen Gefangenenchor aus Nabucco zu einer Art zweiter Nationalhymne im noch nicht vereinten Italien brachte und noch heute die Italiener zum spontanen Mitsingen animieren. Die Chöre jedoch selbst wurden meist stiefmütterlich behandelt und schlecht bezahlt. Trotz ihres Ursprungs schon in der Antike und ihrer Entwicklung über den Kirchengesang zu ihrer heutigen Darstellung in weiten Kulturbereichen standen sie in der Oper oft unverdientermaßen hinter den einzelnen Sänger*innen und Darsteller*innen zurück.
Der Beitrag „Musik und Tanz im Wechselspiel“ von Stephanie Schröther befasst sich unter der Muse „Terpsichore“ mit „Berlins Aufstieg zu einer Ballettmetropole“. Das Ballett gehörte früher als Intermezzo oder handlungstragender Teil zur Oper dazu, wie die anderen Elemente der Handlung. Das Ballet war anfänglich auch ein unverzichtbarer Teil einer höfischen Repräsentation. In Preußen wurde anfangs dem französischen Ballett zum italienischen Musiktheater nachgeeifert und dann daraus eigene Vorstellungen entwickelt. Das Ballett durchlebte verschiedene Epochen zwischen Politik und Skandal, bis es zum Schluss oftmals dem Kostendenken in der Oper zum Opfer fiel, dann aber als Ballett allein wieder eine Auferstehung errang.
Im nächsten Beitrag unter der Muse „Erato“ berichtet Daniel Schreiber unter „Frauen in der Oper“ über „Diven, sterbende Heldinnen und der lange Schatten des 19. Jahrhunderts“. Die Oper als Männergeschäft trug damit die Gründe für Skandale schon immer in sich. Die Hauptpersonen waren jedoch immer die Frauen in der Oper. Sei es als Diva, sei es als Balletttänzerin oder als einige der wenigen Dirigentinnen oder Musikerinnen eines Orchesters. Das waren oft die Quellen von Skandalen, über die sich Publikum und Gesellschaft erregten.
Mit dem Beitrag von Eva Gesine Baur „Opernstars und neue Musik“ unter der Muse „Kalliope“ behandelt „Das Ensemble der 1920 Jahre. Damit sind wir schon in der jüngeren Geschichte des 20. Jahrhunderts und den Entwicklungen der Musik und ihren Interpreten in dieser Zeit.
Der nächste Beitrag von Misher Aster „Mikrophon und Mikrokosmus“ unter der Muse „Melpomene“ wird über das Wirken Heinz Tietjens in der Staatsoper im Nationalsozialismus berichtet und den Beziehungen von Wagneroper, Wagnerfamilie und Wagnerinterpretation zur Politik. Danach führt uns das Buch schon in die jüngste Vergangenheit mit dem Beitrag „Eine Gattung die am besten in Freiheit gedeiht“ von Karl-Heinz Ott“ er berichtet unter der Muse „Thalia“ „von Rossini, Ruth Berghaus und die DDR“. Im letzten der Beiträge schreibt Holger Neitze über „Daniel Barenboim und seine Ahnen“ unter der Muse „Euterpe“ und schließt damit in der aktuellen Zeit mit „Die Staatskapelle Berlin als Klangkraftzentrum der Lindenoper“ die Folge ab.
Das Buch ist in seiner Anlage thematisch besonders auf die Historie der Institution „Hofoper-Staatsoper“, die Gesellschaft von Berlin, die jeweilige Leitung des Hauses, die Aufführungen und die darin tätigen Künstler bezogen. Über die wiederholten baulichen Veränderungen und die Reaktionen der Besucher der Oper und der Berliner Bürger darauf, im Gespräch und in der Presse der Stadt, ist weniger zu erfahren. Dazu gibt es aber weiterführende Veröffentlichungen und sie werden auch an anderer Stelle ausführlich kommentiert.
Über die künstlerische Entwicklung, die Einflüsse von Zeit, Politik und Personen auf die Institution wird in diesem Buch in thematischen Schwerpunkten und Ausschnitten aufschlussreich berichtet. In dieser Form bildet das Buch einen interessanten Querschnitt, wobei auch einige Ungereimtheiten wegen ihrer Relevanz übersehen werden können. Es ist als Ganzes gut lesbar und bildet als Informationsquelle eine gelungene Ergänzung zu den im Literaturanhang benannten Quellen der einzelnen Beiträge. Das Buch ist damit bestens zu empfehlen.
Peter Dahms [OpernInfo-Berlin]