Geert Lovink
Thesen zur dunklen Seite der Plattformen
Print, 8/2019, 242 Seiten kart., Klebebindung
ISBN 978-3-8376-4975-8
E-Book (PDF) ISBN 978-3-8394-4975-2
E-Book (EPUB), ISBN 978-3-7328-4975-8
Aus der Reihe ‚Digitale Gesellschaft‘ vom [transcript-verlag]
REZENSION:
Seit Geert Lovink mit seinem Buch „Im Bann der Plattformen“ im August 2017 im transcript-verlag das Thema des Internets und besonders der sozialen Netze einer umfangreichen kritischen Betrachtung unterzogen hatte, (… den Link zur Rezension sehen Sie unten), hat sich dieses immer mehr in der Gesellschaft und deren Kommunikation eingegraben, sodass es aus heutiger Sicht keine einfache Möglichkeit mehr gibt, sich dieser Umklammerung zu entziehen. Die politischen und kulturellen Ereignisse in der Welt haben seitdem die Probleme, die er in seinem Buch thematisierte nicht gebessert, sondern zunehmend verschärft. Er stellt einleitend in einer Danksagung an den Verlag fest, dass die „Social-Media-Debatte“ den Mainstream erreicht hat, aber jede Art von Widerstand oder Alternativen, mit sehr wenigen Ausnahmen, so gut wie abwesend sind.
In der Einleitung beschreibt er zusammenfassend den heutigen Zustand und die Akzeptanz, wie es es nennt, der „Neuen Normalität“ anhand von Zitaten von schreibenden und leidenden Zeit- und „Net“-genossen. Pessimistisch mit Blick auf die weitere Entwicklung fasst er zusammen:
„Willkommen in der Neuen Normalität. Soziale Medien formatieren unser Innenleben um. Wo Plattform und Individuum nicht mehr voneinander zu trennen sind, wird Social Networking identisch mit dem »Sozialen« selbst. Nicht länger neugierig, was »das nächste Web« bringen wird, chatten wir über die Informationen, die wir an mageren Tagen abweiden dürfen. Die Zuversicht gegenüber der Zukunft ist zerbrochen – der saisonabhängige Hype ist auf eine stagnierende Zukunft reduziert.“ (9-10)
Spannend zu lesen, wie er auf der Grundlage zahlreicher Veröffentlichungen zum Thema den gegenwärtigen Zustand analysiert, bewertet und wie schon im oben zitierten Buch, über die Hoffnungen und die Wünsche und die Begeisterung berichtet, mit der die ersten realen Installationen des Internets von den ersten Usern aufgenommen wurden und welche gegenteiligen Entwicklungen sich daraus ergaben, seitdem dieses Medium zu einem Werkzeug der Ökonomie wie Facebook, Google und Co. und der Politik, wie z.B. die „Alt-Right“ Bewegung verkommen ist. In neun Kapitel beschreibt er mit einführenden Zitaten die verschiedenen Quellen, er zitiert hier z.B. aus einem Artikel von 2017:
„Die Entzauberung des Internets ist eine Tatsache. Die Aufklärung bringt uns keine Befreiung, sondern Depression. Die fantastische Aura, die unsere geliebten Apps, Blogs und Sozialen Medien einst umgab, ist verblasst. Swipen, Sharen und Liken fühlen sich an wie seelenlose Routinen, leere Gesten. Wir haben damit begonnen, uns zu entfreunden und entfollowen, doch wir können es uns nicht leisten, unsere Accounts zu löschen, weil dies sozialem Selbstmord gleichkäme.“ (27 – Kap.1)
In dieser Weise geht er in seinem Buch den Grundgedanken des Themas mit ausführlichen Zitaten aus einschlägigen Veröffentlichungen unter nachvollziehbarer Angabe der Quellendaten vor, zitiert und schlägt Alternativen vor. Er entwickelt die Gedanken aus seinen frühen Untersuchungen weiter und berichtet über neuere Entwicklungen. So ist das ganze Buch eine Sammlung von Stimmungen, Diskussionen und Kritik an der „Neuen Normalität“, als Grundlage zur einer möglichen, wünschbaren Weiterentwicklung des „Sozialen“ in den Netzen und die dafür und notwendigen Änderungen und Verbesserungen.das Das Buch bietet damit eine spannende Sammlung von Realitäten, Kritiken und Wünschen zum Zustand und daraus zur Weiterentwicklung des „Social Web“ durch die Feststellung des Scheiterns von großen Hoffnungen basierend auf umfangreichen Quellenstudien, Diskussionen und Praxiserfahrungen.
Dabei belässt er es nicht, im letzten Teil des Buches fasst er seine Vorstellungen (oder Träume?) zur Änderung und zum Neuaufbau des Netzes (Internet) zusammen:
Er fordert konsequent die Enteignung von Facebook, Google und Co., den Aufbau des Netzes als Allmende (Gemeineigentum) der Menschheit, als Ersatz für aktuelle Parteien und Organisationen zu einem Netz der gesamten Menschheit zur Verbreitung von Ideen, zur Möglichkeit der freien und anonymen, temporären und permanenten Verbindung beim Austausch von Ideen, Meinungen und Visionen ohne zentrale Kontrolle oder der permanenten Sammlung von Daten von Konzernen zur kommerziellen Verwertung. Das ist sein Grundanliegen, das er immer wieder als Zukunftsvorstellung in seinen Arbeiten herausstellt.
Das Buch ist für jeden aktuellen und zukünftigen Teilnehmer an sozialen Netzen eine Pflichtlektüre wegen ihres hohen, dichten Informationsgehalts, seiner treffenden Analysen und wegen der Vorstellung von Visionen zur Verbesserung und allgemein zur Zukunft des Netzes, die es propagiert und transportiert.
Peter Dahms [OpernInfo-Berlin.de / Dahms-Projekt.de]
Link zu „Im Bann der Plattformen“
https://www.dahms-projekt.de/cp405/_rubric/detail.php?nr=3257&rubric=Wort&
Verlagsankündigung:
Facebook, Twitter, Instagram, Tinder und Co. – all das Klicken, Scrollen, Wischen und Liken lässt uns am Ende sinnentleert zurück. Traurigkeit ist zum Designproblem geworden, die Höhen und Tiefen der Melancholie sind längst in den Social-Media-Plattformen kodiert.
Geert Lovink bietet eine kritische Analyse der aktuellen Kontroversen, die sich um Social Media, Fake News, toxische virale Meme und Online-Sucht drehen. Er zeigt: Die Suche nach einem großen Entwurf darf als gescheitert gelten – und hat zu einer entpolitisierten Internetforschung geführt, die weder radikale Kritik übt noch echte Alternativen aufzeigt.
Wir sind aufgerufen, die künstliche Intimität von Social Media, Messenger-Apps und Selfies zu akzeptieren, denn Langeweile ist die erste Stufe der Überwindung des »Plattform-Nihilismus«. Und dann, wenn der Nebel sich lichtet, können wir daran arbeiten, die Datenfresser-Industrien in ihrem Kern zu treffen. [transcript-verlag]