Thomas Klie / Jakob Kühn (Hg.)
Postdramatische Performanzen in Kirche und Theater
Neu im März 2020
Print 3/2020, ISBN 978-3-8376-5162-1
E-Book (PDF 3/2020) ISBN 978-3-8394-5162-5
Aus der Reihe:
‚RERUM RELIGIONUM – ARBEITEN ZUR RELIGIONSKULTUR ‘ Band 5
vom [transcript-verlag
REZENSION:
Der vorliegende Sammelband wird mit Zitaten eingeleitet, die in einer Zustandsanalyse den aktuellen Vollzug der Gemeindearbeit in der aktuellen protestantisch, evangelischen Praxis beschreiben:
„Die Theaterwissenschaft hat sich nahtlos in das breite Ensemble praktisch-theologischer Bezugswissenschaften eingereiht. [… ]“ „Doch die Welt des Theaters verändert sich. […]“ „Sie bespielen es in anderer Weise als das dramatische Theater […]“. „Die Definition dessen, was wir unter Theatralität verstehen, hat sich verschoben. […]“ „Theatralität stellt sich nicht mehr dort ein, wo wir etwas mit großen Gesten und viel Getue geboten bekommen. […]“ (7)
„Was sich in den letzten beiden Dekaden als „postdramatisches Theater“ erst zaghaft andeutete, ist derzeit dabei, sich fest zu etablieren und stilistisch die dramaturgische Arbeit im Theater zu verändern.[…]“ (8)
Was wird darunter verstanden, wie wird das erlebt, in der Gemeinde, als Pastoren und als Religionswissenschaftler und was folgt daraus für die weitere Entwicklung der protestantisch, evangelische Liturgie?
Zum Titel des Sammelbandes schreiben die Herausgeber dieser Schrift zur Einleitung, wie sich aktuell die Aufregung um das Theaterparadigma der praktischen Theologie gelegt hat. Nach anfänglichen Aufregungen haben sich in den zurückliegenden 20 Jahren die dramaturgischen Elemente zu einem normalen Bestandteil der protestantischen Liturgie entwickelt und es hat sich zu einem Bestandteil der praktisch-theologische Bezugswissenschaften entwickelt. Jedoch hat sich die Welt des Theater geändert und postdramatische Elemente wurden Bestandteil der liturgischen Praxis. Der Zuschauer wurde entdeckt und aktiv in den Vollzug des Gottesdienstes mit einbezogen, er war nicht mehr nur Empfänger der Botschaft, er beeinflusste und formte sie durch seine aktive Teilhabe.
Zwölf Autoren*innen beschreiben in Ihren Beiträgen aus ihrem theologischen, theaterwissenschaftlichen und/oder allgemein geisteswissenschaftlichen Arbeitsbereich den Inhalt einer Entwicklung der Theaterwissenschaft zur Postdramatik aus ihrer Sicht und was diese Entwicklung für die protestantisch, evangelische Liturgie und die Gemeindearbeit bedeutet und in welcher Form sie adaptiert und praktiziert wird. Die Beiträge des Bandes entwickeln in einer interdisziplinären Diskussion die sich entwickelten Interferenzen. Im Vordergrund stehen die postdramatischen Aufführungen in Kirche und Theater. Sie entstehen und werden realisiert in Zusammenarbeit von Praktischer Theologie und Theaterwissenschaft. Die Botschaft ist eindeutig.
In den einzelnen Beiträgen kommentieren die Autoren*innen das Thema aus unterschiedlicher Sicht:
„Andreas Englhart kommentiert in seinem Beitrag die ästhetische Lage des deutschsprachigen Gegenwartstheaters. Trotz postdramatischer und performativer Einflüsse werden heute immer noch mehrheitlich Stücke gespielt, Theatertexte und Literatur inszeniert. Offenbar will der Mensch nicht ohne kleinere oder größere Geschichten auskommen.“(9)
„Barbara Gronau analysiert aus der Sicht der Theaterwissenschaftlerin das Phänomen des Sich-Zeigens. Was geschieht, wenn ein Etwas, eine Form, ein Lebewesen auf einem Schauplatz in die Sichtbarkeit tritt und zu einer lebendigen, bedrängenden Tatsache wird? „(9)
„Thomas Klie skizziert die bisherige praktisch-theologische Rezeption der Theatertheorie und geht dann dem Theorieentwurf von Hans-Thies Lehmann zum „postdramatischen Theater“ nach. (9)
Dietrich Sagert schaut von der postdramatischen Performanz in Bild und Theater aus auf den evangelischen Gottesdienst. Er plädiert mit Heiner Goebbels für eine „Ästhetik der Abwesenheit“ im Kultus und spielt diese Figur anhand einiger liturgischer Rubriken durch: Stille, Lesungen, liturgische (Nicht-)Präsenz, leere
Bühne (Altarraum) und Sprechakte. Solche Strategien der Abwesenheit eröffnen künstlerische Erfahrungen bis hin zur „Anwesenheit des Anderen“. […] (10)
„Antje Mickan schlägt anhand von drei Beispielen, zwei Ausstellungsprojekten in Kirchen und einem Passionsmusical, eine Brücke zwischen Kunst, Religion und Raum. Sie geht mit Nelson Goodman der Frage nach, wie sich in der späten Moderne Amalgame einer Religions- und Erinnerungskultur räumlich performieren.“ […] (10)
„Klaas Huizing kritisiert in systematisch-theologischer Perspektive mit Bernd Stegemann die postdramatische Kehre in der Praktischen Theologie. Zugleich plädiert er für eine Rückkehr zum biblischen Realismus, zu biblischen Texten, die dazu tendieren, „Schlüsselsituation zu horizontalisieren“. Im Blick auf die evangelische Liturgie diskutiert er Aspekte, die dem postdramatischen Ansatz entsprechen (Leiblichkeit, Spielcharakter, Performativität), ohne dabei „in den Strudel dekonstruktivistischer Handlungslethargie zu geraten“. Ein postdramatischer Gottesdienst ist ein Gottesdienst, der sich vom alten Heilsdrama ganz entschieden befreit.“ […] (10)
„Konrad Müller thematisiert die Fortbildungsarbeit im Bereich der „Liturgischen Präsenz“ nach Thomas Kabel. Hier werden mit einem der Schauspielausbildung entlehnten Methodenpotpourri Pfarrpersonen angeleitet, ihr liturgisches Handeln dramaturgisch zu optimieren. Die Grundlage ist dabei, dass hinter der Show, hinter dem Auftritt ein Sein sichtbar wird, das nicht mit einem formverliebten Ritual- und Körperspiel zu verwechseln ist.“ […] (10)
„Katharina Gladisch beschreibt, wie sie mit ihrem Projektteam zwei Stücke mit ethisch-theologischem Anspruch in Szene setzt. Hierbei spielt die das Fremde eine zentrale Rolle, eine Figur, die mit Bernhard Waldenfels prominent reflektiert.“ […] (10)
„Lars-Robin Schulz geht am Beispiel des schwarzen Gottesdienst-Ringbuchs dem Verhältnis von Textbild und sprecherische Performanz nach. Wenn mit dem Ringbuch der Pfarrperson ein nennenswerter Anteil der gesprochenen Sprache im Gottesdienst gestaltet wird, dann ist dies für die Erforschung der sprechsprachlichen Performanz in der Liturgie keine Marginalie.“ […] (11)
„Lisa Espelöer rekonstruiert den liturgischen Theaterdiskurs am Beispiel des Inszenierungsbegriffs von Michael Meyer-Blanck. Mit Recht weist sie darauf hin, dass in diesem Theoriezugriff die Rolle des Publikums bzw. der Gottesdienstbesucher deutlich unterbestimmt bleibt. Mit Rancière und Lazarowicz skizziert sie einen um die Publikumskategorie erweiterten theologischen Inszenierungsbegriff“. […] (11)
„Insgesamt versteht sich der Band in doppelter Weise als ein Diskursangebot: Die Praktische Theologie ist aufgefordert, das Theaterparadigma postdramatisch fortzuschreiben und die produktiven Impulse, die hiermit gesetzt wurden, auch auf die Rezeptionsmodi des gemeindlichen „Publikums“ auszuweiten, um damit auch die jüngsten Entwicklungen im Bereich der liturgischen Praxis deuten zu können. Und zugleich ist die Theaterwissenschaft aufgefordert, den von ihr favorisierten Ritualbegriff auch und gerade liturgisch zu schärfen. Auch wenn sich das neuzeitliche Religions- und Kultursystem funktional voneinander entfernt haben, sind Kirche und Kultur, Theater und Gottesdienst als soziale Phänomene über die ästhetische Erfahrung „jenseits der Darstellung“ nach wie vor eng mit einander verwandt.“[…] (11)
Das Buch ist interdisziplinär angelegt und beschreibt das Verhältnis von Praktischer Theologie und Theaterwissenschaft. Es bietet Einblick in die protestantisch-evangelische liturgische Praxis und die Gemeinsamkeiten in der praktischen Durchführung von postdramatischen Inhalten in beiden Disziplinen, wie die Bezüge zueinander sich zeigen und wie Gewinne aus den beiderseitigen Performanzen gezogen werden können. Die Beiträge sind überwiegend Berichte und Beispiele aus der praktischen Durchführung und die Erkenntnisse die daraus gewonnen wurden.
Peter Dahms [www.Dahms-Projekt.de/Wordpress/]
Aus der Verlagsankündigung:
Die Welt des Theaters hat sich verändert – und mit ihr die sie denkende Theorie. Was sich in den letzten beiden Dekaden als »postdramatisches Theater« andeutete, ist derzeit dabei, stilistisch die dramaturgische Arbeit im Theater zu verändern. Zeitgleich rückte der in den 1990er Jahren geführte Diskurs zur dramaturgischen Gestalt der evangelischen Liturgie erstaunliche Neuentdeckungen ins Bewusstsein. Inszenierung und Präsenz, Rolle, Leiblichkeit, Text und Spiel waren die zentralen Kategorien der liturgiewissenschaftlichen Verständigung. In diesem Band wird das »postdramatische Theater« erstmals praktisch-theologisch rezipiert, um die sakrale Theatralität über sich aufzuklären.