Choreophonien

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Julia Ostwald
„Choreophonien“
Konstellationen von Stimme und Körper im Tanz
der Moderne und der Gegenwart

Erschienen in der Reihe „TanzScripte“ im April 2024 im transcript Verlag, Bielefeld OPEN ACCES

Print-ISBN: 978-3-8376-6844-5 PDF-ISBN: 978-3-8394-6844-9

Julia Ostwald (Dr. phil.) ist Tanzwissenschaftlerin und arbeitet als Universitätsassistentin für Gender Studies an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Ihr Interesse in Lehre und Forschung gilt historischen und gegenwärtigen Körperpolitiken, Voice und Sound Studies, der Performativität des Atmens sowie transkulturellen Inszenierungen von Gender im Kontext von Tanz, Choreographie und performativen Künsten.

… aus der Verlagsankündigung:

„Die Stimme stellt eine konstitutive, aber vernachlässigte Kategorie im Denken über Tanz dar. Anhand von Fallstudien aus dem modernen und zeitgenössischen euroamerikanischen Bühnentanz untersucht Julia Ostwald diverse Stimm-Körper-Konstellationen, die kanonisierten Setzungen von Tanz als stummer Kunstform entgegenlaufen. Mithilfe der Denkfigur der Choreophonie analysiert sie spezifische Verschränkungen von ästhetischen Verfahren, sinnlichen Wahrnehmungen und ihren mikropolitischen Dimensionen. Somit erschließt sie ein tanzwissenschaftliches Forschungsfeld, das nicht nur Impulse für Theorie und Praxis der performativen Künste, sondern auch für die Gender und Queer Studies gibt.“ [transcript-verlag]

Rezension:
In der Einleitung zu ihrer Arbeit beschreibt die Autorin ihre Gedanken und Absichten zum bearbeiteten Thema folgendermaßen:

„Denkfigur Choreophonie:

„Um in dem komplexen Geflecht von Konstellationen von Körper und Stimme zu navigieren, schlage ich die Denkfigur der Choreophonie vor. Damit soll keinesfalls eine wie auch immer geartete ›Gattung‹ von Choreographien der Stimme definiert werden. Choreophonie ist vielmehr ein provisorischer Begriff, der Stimme und Körper im Kontext von Tanz und Choreographie im Verbund adressiert. Als Denkfigur zielt Choreophonie darauf ab, die Vorschachtelungen vokaler Körper und choreographierter Stimmen in immer wieder neuen Gefügen wahrzunehmen. Choreophonie ist entsprechend im Plural zu denken. In der Verbindung von chorós als altgriechisch Tanzplatz, Reigen, Tanz und der Stimme im weiten Sinn von phoné rücken mit der Denkfigur die materiellen Modellierungen und Beziehungen zwischen Körpern, Stimmen,Bewegungen und Räumen ins Zentrum der Aufmerksamkeit….“ (37)

…. und führt im Folgenden mit Vielzahl von ausführlichen Beispielen zu diesem Thema weiter aus, wie sich Choreographen und Tanzschaffende in den vergangenen Jahren und bis in die Gegenwart diesem Thema zuwandten und ihre Meinung dazu in ihren Arbeiten darstellten und begründeten.

„Während die Beziehung von Bewegen, Sprechen und Singen des griechischen Tragödienchors historisch durch die westliche Trennung der Künste aufgehoben wurde und der Chor nur noch als Residuum im Opernchor beziehungsweise im corps de ballet existierte, kann im frühen 20. Jahrhundert sowie seit den 1990er Jahren eine Wiederentdeckung von theatralen chorischen Bewegungs- und Stimmkörpern konstatiert werden, die disziplinäre Trennungen unterlaufen.“ (134)

„Die Studie ist ausgegangen von der These einer eklatanten Vernachlässigung theoretisch- historischer Untersuchungen zur Stimme im Tanz, die in starkem Kontrast steht zur Vielfalt vokaler Verfahren in choreographischen Arbeiten der Tanzmoderne und -gegenwart. Dabei wurde eine Perspektive vorgeschlagen, die Praktiken der Gegenwart zu solchen der Moderne als Konstellationen in Bezug zueinander setzt. In diesem Ansatz spiegelt sich einerseits die Feststellung,dass die Stimme im modernen Tanz (wieder) laut geworden ist,andererseits derBe?und,dass die Tanzmoderne sich gegenwärtig in einem prekären Übergangsmoment zum (institutionalisierten) kulturellen Gedächtnis befindet, der die Möglichkeit einer Revision tanzhistoriographischer Setzungen öffnet. Statt kanonisierte Narrationen zu wiederholen, sollten über diesen diskontinuierlichen Ansatz bisher unbeachtete Beziehungen, Verbindungen, Resonanzen und Brüche erkennbar gemacht werden. Dabei bin ich davon ausgegangen, dass nur anhand detaillierter Analysen singulärer Performances und ihrer je spezifischen Modellierungen von Körpern und Stimmen Aussagen zu historisch-kulturell wandelbaren Bedeutungen vokaler Choreographien und ihrem mikropolitischen Vermögen getroffen werden können. Übergreifend habe ich die Denkfigur der Choreographie vorgeschlagen, auf die hier abschließend vor dem Hintergrund der zehn betrachteten Produktionen noch einmal zurückgekommen werden soll.“ (265)

Die Arbeit schließt mit einem umfangreichen Anhang der verwendeten Literatur und einschlägigen Büchern und Artikeln sowie Archivquellen und dem Hinweis auf einschlägige „Audiovisuelle Medien“ zum Thema.

Es ist dabei jedoch zu bedenken, dass bei der Archivierung der Choreografie etablierte Aufzeichnungtechniken und -verfahren zur Verfügung stehen, die sich ausschließlich auf papierner Basis erstellen und weitergeben und archivieren lassen, während für die Choreophonie, wie sie hier vorgestellt wird, sich zum größten Teil keine papiernen Formate erstellen lassen. Hierzu sind technische, elektronische Aufzeichnung und Wiedergabeeinrichtungen erforderlich, die zwar vorhanden sind, aber eben moderner Art sind und anders sind als die etablierten Techniken der heutigen Choreografie.

Peter Dahms [www.Dahms-Projekt.de/wordpress]