Besuch am 14. November 2018 im Studio 1 der Uferstudios
„Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns? … Es kommt darauf, an das Hoffen zu lernen. … Die Arbeit dieses Affekts verlangt Menschen, die sich ins Werdende tätig hineinwerfen, zu dem sie selbst gehören.“ So führt der Philosoph Ernst Bloch in sein zentrales Werk „Das Prinzip Hoffnung“.
„Aus der Verbindung des freien, formenden Denkens mit dem Blochschen Hoffen entsteht die neue Arbeit der Tanzcompagnie Rubato.
Nach Stücken wie Uncertain States (2015) über die Auflösung ideologischer , ökonomischer und gesellschaftlicher Fundamente in einer disruptiven Welt, die Verhandlung von Dissens, Konsens und Konflikt in Voltage / Zero (2016) und >flirren< (2017) zur Ambivalenz zwischen Angst und Freiheit richten Jutta Hell und Dieter Baumann ihr choreografisches Schaffen in blue-sky thinking deutlich auf eine in die Zukunft gerichtete, geradezu anti-dystopische Kraft: Hoffnung.“
„Die Zeichen unserer gegenwärtigen Welt mögen eher in eine andere Richtung weisen: Unsicherheit, Angst, Konflikt, Abschottung, Nationalismus. Aber gerade deshalb interessiert Hell/Baumann der positive Affekt „Hoffnung“, weil er wie mit Bloch kraftvoll auf einen anderen, vorausliegenden Möglichkeitsraum weist – aus dem Wünschen über das Wollen zum Handeln.“
[von Kommunikation: k3 berlin]
Besuchsbericht:
Gegen den Zustand und der aktuellen Bedrohung aus und in der Welt, wie in der Produktion „Flirren“, Uraufführung im November 2017 thematisiert wurde, setzt „Rubato“ in der neuen Produktion auf den Gedanken des Philosophen Ernst Bloch aus seinem zentralen Werk: „Das Prinzip Hoffnung“. Als Handlungsempfehlung steht: „blue-sky thinking: creative ideas that are not limited by current thinking or beliefs.” (Collins English Dictionary) als Ausweg aus dem Dilemma der realen Existenz in der realen Welt.
Dunkelheit, Stille, Bewegungslosigkeit. Aus der Stille heraus entwickeln sich Töne mit bedrohlichen Schwebungen. In der aufkommenden Dämmerung erkennt man vier Gestalten, die im hinteren Teil am Rande der Tanzfläche unter einer Haut von rotem Stoff ruhen. Sie entwinden sich langsam aus ihrer Umhüllung und entwickeln die Choreografie unter der Begleitung von Tönen, die wechselnd zwischen eindringlich hämmernd und bedrohlich schwebend durch den Raum hallen. Die Tänzer zeigen einzeln und als Gruppe Figuren und Bewegungen, die eindringlich Bedrohungen und dann wieder harmonisches Zusammenhalten und Unterstützen symbolisieren. Hier zeigt das Team „Rubato“ wieder einmal, zu welch eindrucksvoller Performance sie fähig ist. Den Bedrohungen auf eine anonyme, bedrohliche Außenwelt, der der Einzelne unterliegt, wird Zusammenhalt im Inneren und Widerstand nach außen entgegengesetzt. Die Szenenfolgen der Choreografie verbinden die einzelnen Situationen und getanzten Aussagen fließend oder ekstatisch je nach Tiefe der Emotionen. Die Livemusik unterstützt und führt den Ablauf mit einem weiten Spektrum von Tönen und Tonfolgen. So wie diese Choreografie die typische Handschrift von „Rubato“ zeigt und an „Flirren“ erinnert, so ist die Weiterentwicklung zu einer insgesamt positiveren Grundstimmung deutlich erkennbar. Nach mehr als einer Stunde kann sich das total verausgabte Team über einen begeisterten Applaus freuen. Eine tolle Aufführung findet seinen Abschluss.
Peter Dahms [TanzInfo-Berlin.de]
Inszenierung, Choreografie: Jutta Hell
Tanz, Choreografie: Dieter Baumann, Alessandra Defazio,
Carlos Osatinsky, Anja Sielaff
Komposition, Live Musik: Alexander Nickmann
Licht:Fabian Bleisch
Produktionsleitung: Inge Zysk
Uferstudio 1 Uferstr. 8/23 13357 Berlin
Titelfoto © D-Hartwig